Die Rettung des Hauers Wienpahl

 

                                       Nach Aufzeichnungen des in Revier 5 tätigen Steigers Pelzing

Am 28. November 1930 ereignete sich auf der Zeche Victor 1/2 der Klöckner-Werke in Castrop-Rauxel im Laufe der Nachtschicht ein Unglück.

 

In Revier 5, Flöz Geitling gingen in einem gestörten Flözbereich Kopf und Fussstrecke ( Ort 5 und Ort 6 ), sowie die neben der Störung gelegenen Strebteile zu Bruch. Hierbei wurde ein Hauer in der Fussstrecke verschüttet und dabei getötet. Ein zweiter Hauer konnte sich aus der Wetterrösche in einen Hohlraum vor der Ortsbrust der Fussstrecke retten. Dort konnte er nach achttägigen Rettungsarbeiten ( 183 Stunden ) relativ unversehrt herausgeholt werden. Den folgenden Bericht verfasste der Steiger Pelzing, der an den Rettungsarbeiten mitwirkte. Ausserdem kommt der gerettete Hauer Wienpahl selbst zu Wort.

 

                                               Freitag den 28. November 1930 morgens um 4:00 Uhr

 

Im Revier 5 der Zeche Victor I/II  wird der die Aufsicht führende Steiger M. auf Ort 5 Westen des Flözes Geitling von einem Zimmerhauer angehalten. Dieser meldete, es müsse irgendwo etwas passiert sein, er habe einen dumpfen Schlag gehört. Steiger M. begeht die Strecke und findet etwa 100 Meter von der Arbeitsstelle des Zimmerhauers entfernt, an einer durch einen Sprung gestörte Stellen die Strecke völlig zu Bruch liegen. Er läuft zurück, weiss er doch das in dem dahinter liegenden Strebpfeiler und 18 Meter tiefer auf Ort 6 je ein Hauer beschäftigt ist. Plötzlich, er traut seinen Ohren nicht, hört er einen Wagen auf sich zulaufen. Steiger M. sieht den Wagen ohne Licht und niemand der ihn schiebt. Als er bis auf 10 Meter an den Wagen herangekommen ist, löst sich plötzlich hinter dem Wagen eine dunkle Gestalt, schweisstriefend mit verzerrten Gesichtszügen, - der Zimmerhauer B.  In abgerissenen Worten stammelte er die niederschmetternde Meldung hervor: Steiger, Ort 6 - liegt - hinten - ganz - zu - Bruch. Hauer B.  hatte Lampe und Zeug im Stich gelassen um mit knapper Not den niederprasselnden Gesteins und Kohlenmassen zu entrinnen. Dann hat er 600 Meter weit durch Ort 6  einen Kohlenwagen vor sich hergeschoben und ist im Fördergesenk ohne Licht nach Ort 5  heraufgeklettert. Hier fand er einem leeren Wagen, der ihm in der Dunkelheit Führer sein konnte.

 

                                                                            Ort 5  und 6  zu Bruch

                                                                  Wenige Worte, inhaltsschwer

 

Zwei Menschen von der Aussenwelt abgeschnitten, zwei liebe, gute Kameraden.

Wenige Minuten nach der Schreckensmeldung war die ganze Belegschaft des Reviers auf beide Bruchstellen verteilt. Man rief, schrie, um von den eingeschlossenen Antwort zu erhalten. Im Ort 6  war die Pressluftleitung, obwohl sie von den hereingebrochenen Massen aus den Haltedrähten gerissen und zu Boden gedrückt war, dicht geblieben. Man schraubte sie auseinander und schrie hinein, immer und immer wieder, - Vergebens - Jenseits war Grabesstille. Als die Bergungsarbeiten schon in vollem Gange waren, brachte das Telephon die Unglücksmeldung nach über Tage. Kaum eine Stunde später waren die Beamten der Betriebsleitung an Ort und Stelle, bald auch ein Vertreter der Bergbehörde. Zahlreiche Vorschläge wurden gemacht, wobei das Für und Wider eingehend durchgesprochen wurde. Nach den Angaben des Zimmerhauers B.  hatte der Hauer Wienpahl in dem etwa 6 Meter über den Strebpfeiler hinaus vorgetriebenen Ort 6  gearbeitet, der Hauer Gatzmann unmittelbar oberhalb des Ortes in dem Stebpfeiler. Wenn also, was durchaus nicht unwahrscheinlich war, das vorgetriebene Ort in seinem vordersten Teil nicht zu Bruch gegangen war, konnte Wienpahl noch am Leben sein. Weshalb aber klopfte er nicht an die Rohrleitung oder benutzte sie als Sprachrohr ? War das Ort also doch wohl bis hinten hin zu Bruch gegangen, oder hatte Wienpahl im letzten Augenblick nach rückwärts flüchten wollen und war ins Verderben hineingelaufen? Weit geringer noch war die Hoffnung, dass der Hauer Gatzmann sich durch den 18 Meter hohen Strebpfeiler des steil gelagerten Flözes ( 65 Grad ) in den vorgetriebeben Teil des Ortes 5  habe retten können. Da aber auch diese Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen war, entschied man sich, die Aufwältigung beider Örter zu versuchen. Während die Arbeiten auf Ort 6  einen einigermassen befriedigenden Verlauf nahmen, stellte man am nächsten Tage dem 29. November die Bergungsarbeiten auf Ort 5  ein, weil sie völlig aussichtslos waren. Die losen Gesteins und Kohlenmassen stürzten immer wieder nach, so dass die Gefahr weiterer Unglücksfälle sehr nahe lag. Um aber bei den Bergungarbeiten nicht von dem Gelingen oder Misslingen an einer Stelle abhängig zu sein, durfte der Versuch nicht ganz aufgegeben werden, von oben an die Verschütteten heranzukommen. Man entschloss sich, das nächste höhere Ort 4  mit aller Gewalt 50 Meter vorzutreiben und dann hinter der Bruchstelle nach Ort 5 ein etwa 20 Meter tiefes Abhauen herzustellen. Beide Arbeitsstellen wurden insgesamt mit je 16 Mann belegt, die sich in 4 Schichten mit je 4 Mann vor der Arbeit ablösten.  Mit Eifer und Mut gingen die Mannschaften ans Werk. Es rasselten die Schaufeln. Mit wuchtigen Schlägen wurden Schalhölzer ins Haufwerk hineingetrieben. Schweiss floss in Strömem über die mit dickem Staub belegten nackten Oberkörper. Wieder einmal war auf Ort 6  Platz für eine Kappe, da brachen mit einem Schlag Kohle und Gestein herein und die Arbeit der letzten acht Stunden war zunichtegemacht. Knurren und Flüche kamen über die Lippen der enttäuschten, aber nicht entmutigten Mannschaften.

 

                                                 Sonntag den 30. November 1930  morgens 4:00 Uhr

 

Ein grösserer Stein hatte auf Ort 6  die unter Druck stehende Pressluftleitung an der Stelle, bis zu der die Arbeiten gelangt waren, getroffen und eine Flanschverbindung undicht gemacht. Das Ventil wurde gesperrt um den Schaden zu beheben. Da, - es war als riefe jemand aus weiter Ferne durch das Rohr. Überrascht, entsetzt schaute man sich an. Nochmals der Ruf ganz deutlich zu vernehmen:  HALLO ! - HALLO , wer ist da ?  Hier Wienpahl, ich habe Durst, gebt mir Milch ! Für einen Augenblick war's als wenn die Herzen still gestanden hätten. Dann aber erscholl der freudige Schrei in dem engen Gang: Wienpahl lebt, er ist gesund und unverletzt. Nach seinen eigenen Angaben lag er zwischen dem zweit und drittletztem Holz vor Ort und hatte einen freien Raum von etwas 5 Kubikmetern, ringsherum von Kohle eingeschlossen, ohne Licht. Jetzt war's als sei die Hölle losgelassen. Kameradschaftlichkeit und Opfermut wollten das Letzte hergeben. Fritz Wienpahl lebte, man konnte es nicht fassen. Schnell trennte man etwas weiter rückwärts die Pressluftleitung und überbrückte die Trennstelle durch einen kurzen Schlauch mit vorgeschaltetem Hahn. Vor den nach Wienpahl führenden Teil der Leitung setzte man einen nach oben gerichteten Krümmer. Wenn Luft nach Wienpahl hinübergeleitet werden sollte, wurde das Schlauchende in den Krümmer hineingeschoben. Wünschte Wienpahl etwas, so drückte er den auf seiner Seite an der Rohrleitung sitzenden Schlauch zu. Der Rückstau der Luft bewirkte dann, dass diesseits das Schlauchende aus dem Krümmer herausflog. Das Geräusch der ausblasenden Pressluft rief dann einen der Rettungsleute an das Sprachrohr. Wünschte Wienpahl zu trinken, so goss man Flüssigkeit durch einen auf den Krümmer gesetzten Trichter in das nach unten durchgebogene Rohr, schob das Schlauchende in den Krümmer und liess vorsichtig Pressluft nachströmem. Nach einiger Übung gelang es, auf diese Weise die flüssige Nahrung ohne das sie am anderen Ende zu heftig ausspritzte zu Wienpahl hinüberzudrücken. Dieser fing sie in seinem Grubenschuh auf. Wenn Wiepahl nach der Speisekarte verlangte und sich entschieden hatte ob er sich Milch, Schokolade, Fleischbrühe oder Selterwasser mit Kognak servieren lassen wollte, wurde ihm, sobald das Gewünschte angerichtet war, Meldung erstattet. Prompt erfolgte dann von drüben der Befehl: KOMMEN  LASSEN !  Im übrigen störte man Wienpahl möglichst wenig mit neugierigen Fragen. Man hatte sich daher erst nach seiner Befreiung richtig darüber klar werden können, weshalb er die Verbindung mit den Rettungsmannschaften erst nach achtundvierzigstündiger Gefangenschaft hat aufnehmen können. Darüber soll später berichtet werden.

Die Aufwältigungsarbeiten nahmen von Sonntag bis Mittwoch ihren mühevollen Fortgang. Sperrige Hölzer und Versatzdraht hinderten das Vorankommen, ein Förderwagen musste vorsichtig aus dem Schutt herausgearbeitet werden und immer wieder brach oder verschob sich die Vortreibezimmerung unter der Last nachrückender Massen.

 

                                                             Am Mittwoch dem 3. Dezember

 

abends um 8:00 Uhr waren auf Ort 6  vierzehn Meter aufgewältigt, so dass noch etwa acht Meter auszubauen waren. Am gleichen Tag um 11:00 Uhr abends konnte die Leiche des Hauers Gatzmann geborgen werden. Ein kurzes Schweigen, ein kurzes Gebet für den lieben Toten. Als das Unheil hereinbrach, hat Gatzmann von seinem etwas höheren Standpunkt offenbar noch in die Strecke hinab springen können. Dort müssen ihn aber wohl die Schuttmassen sofort dicht eingeschlossen haben. Die aufrecht stehende Leiche trug am Halsriemen die Grubenlampe, sie war ihm in den Tod gefolgt und wurde ihm mit ins Grab gegeben. Nur widerstrebend hatte die Bergbehörde zugegeben, dass die Arbeiten auf die bisherige Weise bis zur Bergung der Leiche fortgesetzt werden durften. Nachdem dies nun erreicht war, sollte der noch zu überwindende Teil der Bruchstelle unterhalb des Ortes in der anstehenden Kohle unterfahren werden. Man sicherte zunächst einige Meter rückwärts von der Stelle, an der die Leiche des Gatzmann geborgen war, das Ort durch einen Holzpfeiler und teufte vor diesem 2 Meter tief in der 60 Zentimeter mächtigen Unterbank des Flözes ab.

 

                                                                  Donnerstag dem 4. Dezember

 

früh gegen 4:00 Uhr setzte man von diesem kurzen Gesenk aus parallel zu Ort 6  eine niedrige Rösche an. Vor Ort konnte nur ein Mann in hockender Stellung mit dem Abbauhammer arbeiten. Die übrigen Leute bildeten nach rückwärts eine Kette und reichten sich die mit losgearbeiteten Kohlen gefüllten Eimer zu. Immer wieder wurde Wienpahl zwischendurch nach seinem Befinden gefragt und seine Antworten bewiesen das er nach wie vor guten Mutes war. Er billigte die neue Arbeitsweise. Seine Zuversicht und seine Nervenstärke feuerten die Rettungsmannschaften zu erstaunlichen Leistungen an. Zwangsweise musste man sie aus dem engen Gang herausholen, um sie vor Ohnmacht zu schützen. Die Körper bebten, die Nerven vibrierten, stickende mit Schweiss geschwängert Luft und wahnsinnige Hitze füllten den engen Maulwurfsgang.  Das Lampenlicht verschwand in dem dicken Kohlenstaub. Doch mit zäher Energie arbeitete man sich Zentimeter um Zentimeter weiter.

 

                                                                           Donnerstag Mittag

 

Wienpahl gab an, man arbeite unmittelbar unter ihm. Es wurde ein Loch nach oben gebohrt und man sah Wienpahls Angaben bestätigt. Nur 2 Meter war man von ihm entfernt und konnte ihn doch von hieraus noch nicht retten. Das Ablassen der losen Kohle, worauf Wienpahl lag, hätte leicht durch ein grösseres Loch erfolgen können, doch man fürchtete das dann die nach dem Strebpfeiler hin abgeböscht liegende lose Kohle in Bewegung kommen und Wienpahl gefährden könnte. Experimente durften nicht gewagt werden, man musste weiter. Und wieder dröhnte das Knattern des Abbauhammers durch den Gang. Mit starren Gesichtern und rasenden Pulsen schafften die Retter. Eimer auf Eimer kam heraus und Holz eilte von Hand zu Hand vor Ort.

 

                                                                    Freitag Nachmittag 15:00 Uhr

 

Das Rettungsort war weit genug vorgetrieben, denn man hatte durch hochbohren festgestellt, dass oberhalb feste Kohle anstand. Mit dem Aufhauen bis in die Höhe der Firste von Ort 6  wurde begonnen. 2,50 Meter waren es. Das schrecklichste Stück der Bergungsarbeit. Eine ware Backofenglut in diesem Raum. Die Ablösungszeiten mussten verkürzt und immer neue Mannschaften herangezogen werden. 16 Mann waren hier jetzt eingesetzt. Nur ein Wort hörte man immer wieder bei den Rettungsmannschaften. " Voran ! Voran ! "

 

                                                                       Freitag Nachmittag 18:00 Uhr

 

Im Aufhauen wurde das letzte Holz gesetzt. Ruhe herrschte für einen Augenblick. Man rief Wienpahl um ihm noch eine Mahlzeit Fleischbrühe zu schicken. Aber jetzt trieb er zur Eile. Zum ersten Mal sprach er davon, dass sein Käfig immer enger werde. Der Verzug zwischen den ihn schützenden Zimmerungen habe sich stark durchgebogen, einige Verzugspitzen seien schon gebrochen und feine Kohle rieselte hindurch. Jetzt musste man den Durchbruch so schnell wie möglich wagen und übertriebene Vorsicht war nicht mehr am Platze. Noch einmal überzeugte man sich durch Vorbohren, dass man in dem Hohlraum auskommen würde und die letzte Trennwand sollte durchbrochen werden. 

 

                                                                     Freitag Nachmittag 18:45 Uhr

 

Der Ruf nach Brettern wurde gerade zurückgegeben, als die Meldung eintraf, es sei ein kleines Loch nach dem Hohlraum freigelegt und - - - - -  Wienpahl sei heraus. Der tapfere Mann, der 183 Stunden in einer Höhle, die jeden Augenblick sein Grab werden konnte, eingeschlossen gewesen war und der trotzdem nie den Mut verloren hatte, wurde mit tränenfeuchten Augen von den heissen Armen seiner Kameraden umschlungen und von Vertretern der Zeche und Bergbehörde beglückwünscht. Jetzt, nachdem der gerettete Wienpahl an einer ihm vorgelegten Zeichnung seine Erlebnisse näher hat erläutern können, klären sich manche Ungewissheiten auf, die während der Bergungsarbeiten soviel Spannung erzeugt haben. Wir lassen Wienpahl zunächst selber erzählen.

 

                                                Meine Erlebnisse während 183 stündiger Verschüttung

 

Donnerstagabend 10:00 Uhr fuhr ich zur Nachtschicht an und arbeitete im Revier 5  und zwar in der Gesenksohle vor Ort. Des Freitags morgens 4:00 Uhr war ich in der Rösche, plötzlich hörte ich ein Krachen, danach wieder ein Krachen, ich traute meinen Augen nicht, vier Felder Kohlen gingen in die Rösche ab. Drei Felder blieben stehen, hiervon waren aber schon drei Kappen gebrochen, welche ich notdürftig abstützte. Hier durfte ich nicht länger bleiben, denn diese drei Felder drohten abzugehen. Ich musste veruchen, herunter in die Strecke zu gelangen. Der schmale Spalt zwischen dem Kohenstoss und der letzten Streckenzimmerung war aber schon mit Kohle zugelaufen. Diese schaufelte ich beiseite, nach fünf bis sechs Schaufeln hatte ich schon ein Loch durch das ich kriechen konnte. Meine Lampe und mein Beil nahm ich mit. Es standen noch vier Hölzer im Ort, welche noch gut waren. Die Streckensohle war aber schon vier bis fünf Fuss hoch mit loser Kohle bedeckt, so dass darüber noch ein Platz von drei Fuss Höhe freigeblieben war. In diesem Raum war ich meinem Schicksal überlassen, eine Stunde verging nach der anderen. Meine Uhr trug ich bei mir. Samstagmorgen um 6:00 Uhr ging meine Lampe aus. Ganz im dunkeln sitzend zog mein Leben an mir vorbei und doch musste ich mich fassen. Da kam mir der Gedanke ein Loch in den Schlauch zu hauen. Die hieraus entströmende Pressluft verursachte ein starkes Getöse. Ich wickelte meinen Strumpf um dieses Loch und band diesen mit einem Schnürriemen fest, dadurch wurde das Getöse gedämpft. Mein Wunsch war mit " vorne " Verbindung zu bekommen. Nach langem Warten hörte die Luft auf zu blasen, sofort schlug ich den Schlauch durch, rief hinein und bekam Antwort. Man fragte wer dort sei, ich antwortete: " Hier ist Wienpahl " und erkundigte mich nach der Zeit, da war ich schon zwei Tage eingeschlossen. Meine Freude war gross, dass ich nun mit " vorne " Verbindung hatte. Ich wurde gefragt, was ich zu trinken wünschte, ich antwortete: " Milch " Diese wurde schnell besorgt und mir durch die Rohrleitung mit Hilfe von Pressluft nach hinten gedrückt, ich musste sie mit meinem Schuh auffangen, welcher von nun an mein Trinkbecher war. Das schlimmste war vorüber, auf Wunsch wurden mir abwechselnd Milch, Bouillon und sonstige Stärkungsmittel zugeführt. Die Verpflegung klappte sehr gut, auch für Unterhaltung wurde seitens der Aufsicht gesorgt. Herren vom Oberbergamt und vom Bergrevier, sowie sämtliche Beamten der Zeche vom Direktor bis zum Steiger sprachen mir Mut zu. Auch mein Onkel war unten und bestellte mir Grüsse von Hause, welche ich mit Freuden zurückbestellte.

Eines Tages fragte Steiger P: " Wat mäkste denn eigentlich? " - - - - " Eck holl min Winterschloop ", sagg eck. Üm miene Gesundheit wähn se besorgt und schickten sogar en Doktor in Pütt.

Ein Tag verging nach dem anderen. Am letzten Tage konnte ich ganz deutlich die Arbeiten meiner Kameraden hören. In den letzten Stunden wurde ich unruhig. Auf einmal sah ich durch ein Loch wie eine Faust gross ein Licht und erkannte meinem Kumpel Stolaski. Kurz darauf hatte er ein Loch gearbeitet, durch welches ich raus konnte. Schnell schlüpfte ich hindurch und war aus meinem Gefängnis befreit. Freudig drückten wir uns die Hand und krochen durch den engen Rettungsgang zum Ort. Hier wurde ich von Beamten und Kollegen herzlich begrüsst. Zum Schutz gegen das Licht bekam ich eine farbige Brille und dann zog man mir andere Grubenkleidung an. Eine Tragbahre war auch da um mich damit zum Gesenk zu tragen. Da ich mich aber noch kräftig fühlte, lehnte ich dies ab. Mit einem Stock in der Hand ging es zum Gesenk, wir fuhren gleich zur dritten Sohle. Der Personenzug stand fertig und in schneller Fahrt ging es zum Schacht und gleich zum Tage. Dann ging es zur Verbandsstube wo ich gewaschen wurde. Von Herrn Dr. L.  und Dr. D.  wurde ich untersucht und mein Gesundheitszustand war soweit normal. Beim Ankleiden waren mir zwei Mann behilflich. Hierauf sagte ich: " So guatt heff eck et in mien Liäm noch nich hatt. " Von einem Herrn der Bergbehörde wurde ich nochmals beglückwünscht. Dann bekam ich einen Teller Milchsuppe. Steiger N. meinte: " Melk und Bouillon gift et nu nich miär. "  Hierauf sagte ich: " Jetzt gift et dicke Brocken. "  Nachdem ich allen ein herzliches Glückauf gewünscht hatte, fuhr mich Herr Dr. L. mit seinem Auto zu meiner Wohnung und hier gab es ein freudiges Wiedersehen.

 

Von dieser Stelle aus danke ich allen,die sich um meine Rettung bemüht haben        

                                                  Recht herzlichen Dank

 

Wienpahl hat also, als der Bruch fiel, nicht unten im Ort, sondern darüber in der Wetterrösche gearbeitet und sich dort auch vorläufig in Sicherheit bringen können. Es werden mehrere Stunden vergangen sein, bis er sich einen Zugang nach unten freigelegt hatte. In dieser Zeit fallen die Versuche der Rettungsmannschaften, Wienpahl durch die Rohrleitung anzurufen. Er konnte diesen Ruf aber nicht hören, weil er den Bohrschlauch erst später in seinem freiliegenden Teil angeschnitten hat. Die Schallwellen mussten, weil sie nach vorne keinen Austritt fanden, verebben. Durch klopfen an der Rohrleitung konnte Wienpahl keine Zeichen geben, weil die Verbindungsstelle von Rohrleitung und Bohrschlauch sich unter dem Bruch befand.

Für den Erfolg der Rettungsarbeiten ist es von grösster Wichtigkeit gewesen, dass die Rohrleitung dicht geblieben ist. Neben diesem Glückszufall ist der Erfolg aber zu verdanken der mutigen Zuversicht des Geretteten und der aufopferungsvollen Kameradentreue der Rettungsmannschaften.

 

Zum Schluss seien noch einige Angaben über den Umfang der geleisteten Arbeiten gemacht. Bis zu der Stelle wo die Leiche des Hauers Gatzmann geborgen wurde, sind in etwa 138 Stunden  15 Meter verbrochene Strecke aufgewältigt worden. Der in der Kohle hergestellte Umfahrungsgang ist einschliesslich Abhauen und Aufhauen etwa 22 Meter lang geworden und diese Arbeit hat 44 Stunden gedauert. Im ganzen sind von 37 Personen  225 sechsstündige Arbeitsschichten mit Ablösung vor Ort geleistet worden. Zur Aufsicht sind ständig ein Beamter der Bergbehörde, ein Obersteiger oder Fahrsteiger, ein Steiger und ein Betriebsausschussmitglied zugegen gewesen.

 

 

Der Schuh des Hauers Wienpahl, mit dem er seine Verpflegung aus der Rohrleitung aufgefangen hatte, stand bis zur Stilllegung der Anlage Victor-Ickern in einer Vitrine.

 

1973 wurde er dem Bergbaumuseum in Bochum übergeben.

 

 

 

                                                                                      

 

                                              Gewerkschaftliche Rundschau aus dem Jahr 1930