Victor I/II
Am 12.April 1872 tat Ernst Waldthausen
im Beisein der Bergbehörde den ersten Spatenstich für das Abteufen des ersten Schachtes der neuen Zeche Victor. Die eigentlichen Teufarbeiten begannen erst am 20. Mai 1872. Zuerst mussten fünf
Meter Lockermassen bis zum festen Mergel überwunden werden. Es ist anzunehmen das wie bei allen anderen Schächten eine Senkmauer aus Ziegelstein zur Überwindung der Wasserführenden
Schichten verwendet wurde. Danach begann das eigentliche Abteufen des Schachtes mit einem Durchmesser vom 4,75 m. Die Arbeiten gingen langsam voran, denn die Sprenglöcher mussten von Hand geschlagen werden. Zum
Sprengen verwendete man Kieselgurdynamit, das 1866 von Alfred Nobel erfunden worden war. Das nur in geringen Mengen zuströmende Wasser konnte im Kübel zusammen mit dem Haufwerk zu Tage gehoben
werden. Bei 290 m nahm der Wasserzufluss erheblich zu, die Kübelförderung war überfordert und der Schacht soff ab. Der Vorstand musste am 3. März 1874 die Teufarbeiten einstellen lassen. Zum
Sümpfen des Schachtes wurde eine dampfbetriebene Gestängepumpe und Steigeleitungen beschafft. Nach der Sumpfung des Schachtes konnte nach über einem Jahr das Teufen im Juni 1875 wieder
aufgenommen werden. Bereits am 18. August 1875 erreichte man bei einer Teufe von 299 m das trockene Steinkohlengebirge. Bei 360 m wurde 1876 die Wettersohle (1. Sohle) und 1877 bei 409 m die
Bausohle (2. Sohle) angesetzt. Am Samstag den 15. September 1877 konnten die ersten Kohlen aus dem 2,1m mächtigen Flöz Sonnenschein zu Tage gebracht werden. Bis zum Jahresende wurden 2499 t
Kohlen, vor allem für das Kesselhaus, gefördert. Das Abteufen endete 1878 bei 503 m nachdem bei 488 m Teufe die 3. Sohle angesetzt worden war.
Zecheneingang Victor I/II im Jahr 1912. Malakoffturm noch ohne aufgesetztes Schachtgerüst
Wetterschacht Victor V
Die Teufarbeiten begannen Anfang 1884. Bereits 1885 wurde das Karbon erreicht und bei 281 m die Wettersohle ( 1. Sohle ). Der Schacht war Ende 1909 bis zur 2. Sohle
( 406 m ) weiter geteuft worden. Der Wetterschacht Victor V. erhielt 1886 und 1893 einen dampfbetriebenen Lüfter. Bis zum Jahr 1912 wurden beide Lüfter elektrifiziert. Ab 1907 hiess dieser
Schacht Victor V. und stand gegenüber dem heutigen Rathaus
Da mit einer Jahresförderung von 500.000 t Kohlen die Kapazität des Schachtes Victor I. erschöpft war, wurde ein zweiter Förderschacht erforderlich. Am 1. März 1894 wurde mit dem Teufen des Schachtes Victor II. begonnen. Im Juli 1899 war der Schachtsumpf von 503 m nach 4,5 Jahren erreicht. 1876 wurde zur Aufnahme größerer Seilkräfte über Schacht Victor I. ein Malakoff- Förderturm aus Ziegelstein gemauert, eine Hängebank errichtet, eine Sieberei, eine Kohlenwäsche und eine Verladung. Mit dem Bau der ersten Mannschaftskaue hatte man 1875 begonnen. Eine größere mit Brausen ausgerüstete Kaue wurde 1892 fertig. Zur Aufnahme weiterer Arbeitskräfte wurde die Mannschaftskaue 1898 um 500 Haken erweitert. 1908 erhielt sie bei gleichzeitiger Modernisierung eine Kapazität für 2000 Bergleute. Bereits 1899 wurde über die Anschaffung eines Pferdekrankentransportwagens berichtet.
Erster Zecheneingang Victor I/II
Erste Belegschaft Victor I/II von 1880
Arbeiterwaschkaue 1912
Wegen noch geringer Aufschlüsse unter Tage, Bau und Montagearbeiten über Tage und ungenügendem Gleisanschluss stieg die Förderung nur langsam. Über dem Schacht Victor I. wurde 1876/78 zur Aufnahme grösserer Kräfte ein Malakoff-Förderturm aus Ziegelgestein gemauert. Die Errichtung einer Hängebank, Sieberei, Kohlenwäsche und einer Verladung erfolgte etwa gleichzeitig. 1883 wurde die erste Fördermaschine durch eine stärkere dampfbetriebene Spiraltrommel-Fördermaschine ersetzt.
Dampffördermaschine mit Spiral-Trommel Schacht Victor I von 1892
Victor Schacht I Fördermaschine 1914
Zentrales Maschinenhaus Victor I/II 1912
Schlosserei Victor I/II 1912
Dampffördermaschine Schacht Victor II von 1912
Victor Schacht I Umformer 1914
Gelbgießerei Victor I/II 1912
Schmiede Victor I/II 1912
Das Schachtbohrverfahren ist auf die Ingenieure Karl Gotthelf Kind ( 1802-1873 ) und Joseph Chaudron aus Belgien ( 1822-1905 ) zurückzuführen.
Nachdem bis mitte November 1894 eine Teufe von 229 m erreicht worden war, bohrte man im Schacht eine Wasserader mit einem Zulauf von 1 m²/min an. Da mit noch grösseren Wassermassen gerechnet
werden musste, entschloss sich der Vorstand den Schacht nach der Kind-Chaudron Methode weiterzuteufen. In den bis zum vollen Schachtquerschnitt abgehohrten Schacht sollte zur Abdichtung gegen das
zuströmende Wasser eine aus Tübingringen zusammen gesetzte Röhre eingeschwommen werden. Der Bohrmeissel erhielt einen Durchmesser von 5,05 Meter. Das Bohren begann am 10. Oktober 1895 bei 245 m
Teufe mit einem aus Kruppstahl gegossenen, kleinen Bohrer von 2,6 m Durchmesser und einem Gewicht von 7,5 Tonnen. Der Bohrer war an einem hölzernen Bohrgestänge befestigt das über ein Balancier
von einem Dampfzylinder um 0,25m bis 0,40m angehoben wurde. Während des Anhebens drehte die Bedienungsmannschaft das in einem Wirbel hängende Gestänge mit dem Bohrer um einen spitzen Winkel von
Hand weiter, ehe der Bohrer wieder auf die Schachtsohle fiel. Durch vielfache Wiederholung des Vorganges wurde das Gestein zerkleinert.
Die Kosten des Schachtbohrens und des Ausbaues betrugen pro Meter 8585 Mark.
Kind-Chaudron-Bohrer
Für den im Abteufen begriffenen Schacht Victor II wurde die am Schacht Victor I 1892 ausgebaute Fördermaschine für die nördliche Förderung umgebaut und in einem neuen Maschinengebäude aufgestellt. Die südliche Förderung erhielt eine neue Fördermaschine . Ende 1899 war der Schacht fertig, Füllörter und Hängebank waren eingerichtet wie Schacht I.
Zur Beförderung ihrer Bergarbeiter ab Oktober 1900 aus dem Umkreis von Olfen nach Victor I/II hatte die Direktion der Zeche Victor den Kanaldampfer " Prinz Eitel Friedrich " gechartert. Die Schifffahrt sollte mit dem 1. Oktober beginnen. Das Abkommen mit der Dortmunder Rhedereigesellschaft ist jedoch nicht zustande gekommen. Die Direktion ist dazu übergegangen einen holländischen Dampfer anzukaufen und diesen für den täglichen Transport ihrer Arbeiter zu verwenden.
Die Beförderung von Bergleuten per Dampfer auf dem Dortmund-Ems und Rhein-Herne Kanal nach der Zeche Victor I/II hatte im November 1900 begonnen. Der Dampfer bewegten sich zwischen Olfen und dem Hafen der Zeche Victor I/II. Anhaltepunkte zur Aufnahme an Bord waren die Häfen: Olfen, Datteln, Löringshof, Henrichenburg und der Zeche Victor.
Da Mangel an Bergleuten bestand, begann Victor I/II um die Jahrhundertwende mit ersten Versuchen zur Mechanisierung des Kohleabbaus. Es wurden im Jahr 1901 Versuche mit Schräm und Kerbmaschinen durchgeführt. 1925 gab es auf Victor-Ickern 23 Schrämmaschinen und drei Kohlenschneider der Gewerkschaft Eisenhütte Westfalia. Im Jahr 1904 wurden Versuche mit noch nicht ausgereiften eisernen Reibungsstempeln durchgeführt.
Um vom Markt unabhängig zu werden nahm die Gewerkschaft Victor im Jahr 1899 einen Ringofen in Betrieb. Die Ziegelproduktion diente dem eigenen Bedarf für die Schachtmauerung, dem Bau von Betriebsgebäuden und Siedlungen, aber auch für den Verkauf an Dritte. Im Mai 1901 wurden 372000 Ziegelsteine hergestellt und hierfür 561 Schichten verfahren. Von 1899 bis 1907 setzte die Ziegelei 46,9 Mio. Ziegelsteine ab. 1915 wurde die Ringofenziegelei wegen zu geringer Nachfrage ( Krieg ) stillgelegt.
Die Arbeiten in der Lampenwirtschaft wurden auf Victor I/II unter Tage durchgeführt. Das Füllen und Putzen der Benzinsicherheitslampen führten eine grosse Anzahl von Jungbergleuten durch.
1899 begann die Zeche zur Beleuchtung von Maschinenräumen und Füllörtern mit einer Peltonturbine Licht zu erzeugen.
Bis 1907 lösten die inzwischen weiterentwickelten Lokomotiven und Seilbahnen, Pferde ab. 1905 kamen am Schacht Victor II Benzollokomotiven zum Einsatz, deren Brennstoff aus der Kokerei geliefert wurde. Ihnen folgte 1907 die Fahrdrahtlokomotive.
Im März 1922 plante Peter Klöckner ein Hüttenwerk zwischen Rhein-Herne- Kanal und der Köln-Mindener-Eisenbahn bei Bladenhorst. Das Werk sollte acht Hochöfen, ein Siemens-Martinwerk, ein Blockwalzwerk, einem Güterbahnhof und einen grossen Hafen erhalten was für 3000 Arbeitskräfte ausgelegt war. Ausserdem plante er in Leveringhausen die Errichtung der Schachtanlage Ickern III/IV mit einer grossen Siedlung. Die Ruhrbesetzung durch die Franzosen und schliesslich die Weltwirtschaftskrise 1930 zwangen ihn zur Aufgabe seiner Baupläne.
Um 1920 plante die Gewerkschaft Victor den Aufschluss von 14,3 Mio. t Magerkohle im Nordwestfeld von Victor I/II um die Lebensdauer des Baufeldes zu verlängern. Hierzu war in der Nähe des Victorhafens die Errichtung einer neuen Schachtanlage vorgesehen sowie 2000 neue Wohnungen für die Belegschaft. Durch die politschen Wirren nach dem Krieg und des Absatzmangels wurde dieser Plan verworfen. 1935 erwog die Zeche zur Steigerung der Förderung ein Weiterteufen des Schachtes Victor II bis zur 5. Sohle, aber auch dieser Plan wurde nicht verwirklicht.
Die Wäsche von Victor I/II wurde 1930 stillgelegt, jedoch im zweiten Weltkrieg für kurze Zeit wieder in Betrieb genommen.
Während der Weltwirtschaftskrise betrug der Produktionsausfall im Ruhrbergbau 40 % . Wegen hoher Kohlenbestände wurden von 1930 bis 1932 insgesamt 26 Zechen stillgelegt. Victor-Ickern musste die Förderung und die Belegschaft um 50 % zurücknehmen. Bis 1933 wurden insgesamt 3000 Bergleute entlassen. Victor I/II hatte am 15. Februar 1932, bedingt durch die Weltwirtschaftskrise, die Kohlenförderung im Schacht II eingestellt. Schacht I hatte seit 1907 keine Kohlen mehr gehoben. Beide Schächte dienten künftig ausschließlich der Wetterführung, Wasserhebung, Seilfahrt und der Materialförderung. Die Kohlen einiger noch laufender Streben gelangten über die 3. Sohle nach Victor III/IV. In den vergangenen 56 Jahren förderte die Schachtanlage Victor I/II 21.990599 t Kohlen zu Tage.
Victor I/II um 1925
Zecheneingang Victor I/II Malakoffturm Schacht I. mit aufgesetztem Fördergerüst 1930
Zechenangestellte 1932
Victor I/II Blick vom Hauptbahnhof
Grundriss Victor I/II 3. Sohle
Tiefstollen
Da für eine Luftverteidigung im zweiten Weltkrieg die Kräfte fehlten, begann man 1942 den passiven Luftschutz durch Bau öffentlicher Luftschutzbunker zu intensivieren. Die Klöckner-Werke gingen im April 1943 dazu über den wirkungsvollen Schutz von Belegschaft und Bevölkerung in Mergel ausgedehnte Tiefstollen anzulegen. Die Zechen stellten bis zu 500 erfahrene Bergleute und Kriegsgefangene sowie Material zur Verfügung. Man musste in einer Teufe von 16 m bis 20 m gehen, um in eine tragfähige Mergelschicht zu gelangen. Die Wände und Decken bestanden aus 1,2 m bzw. 2 m starkem Stahlbeton. Die Streckenvortriebe des Stollens besaßen einen Querschnitt von 10 m². Am 25.Oktober 1944 wurde der Stollen mit 755 m Länge fertig gestellt. Der Tiefstollen bot 5000 bis 6000 Personen Schutz vor Bombenangriffen.
Am 12. Dezember 1943 wurde der Antrag an das Bergamt gestellt, einen Tiefstollen Victor III/IV anzulegen. Am 25 Oktober 1944 war der Stollen 795 m lang und bot Schutz für 8000 Personen.
Eingangs-Bauwerk 1, Tiefstollen
Victor I/II nach einem Bombenangriff 1944
Die Auswirkungen der Bombenangriffe der Alliierten auf die drei Klöckner-Zechen waren erheblich.
Am 6. November 1944 wurde das Fördermaschinengebäude, Maschinenhaus, Kesselhaus, Ventilatorengebäude, Zechenbahnhof und die Kokerei getroffen. Es waren drei Tote zu beklagen.
Am 11. November zerstörten 14 Bomben das Kesselhaus, die Verladung, Werkstätten, Kabelnetze. Der Bahnhof Rauxel wurde zerstört.
Am 3. Januar 1945 wurden die Rütgerswerke, die Teerverwertung und Victor I/II von einem 200 t Bombenteppich eingedeckt. Rauxel wurde verwüstet und 21 Menschen starben.
Am 15. März 1945 war der letzte Grossangriff auf Castrop-Rauxel. Die Rütgerswerke und die Teerverwertung wurden total zerstört, auf Victor I/II musste die Kokerei endgülig ausser Betrieb genommen werden. Es wurden 12 Tote beklagt.
Auf Victor I/II wurden 1957 das Schachtgerüst Victor II mit Fördermaschine, Hängebank, Sieberei und Verladung abgerissen. Schacht II blieb Ausziehschacht und Schacht I bis 1960 für die Notseilfahrt erhalten.
Victor I/II blieb Standort einiger Spezialwerkstätten, Lokomotivwerkstatt, Zecheneigene LKW-Werkstatt, Fahrdienst, Telefonwerkstatt.
Gründung der Klöckner-Ferromatik GmbH in Rauxel im Jahr 1954 auf dem Gelände von Victor I/II mit ihrer weltweiten Produktion von Hydraulikstempeln
Stilllegung Victor I/II
Die Schächte Victor I und Victor II wurden im Jahr 1965 verfüllt
Ehemaliger Standort der Schächte Victor I/II
Wetterschacht Victor V. Im Hintergrund das Rathaus